19 März 2008

Nachruf

Es gibt keine freeware in diesem Blog, die ich nicht kenne. Und es gibt auch keinen einzigen Beitrag, bei dem ich nicht auf Mamas Schoss gesessen habe.
Ich bin gestern im Alter von 18 Jahren in Mamas Armen verstorben.

Da ich - bisher ein unsichtbarer, aber wesentlich mitwirkender - Teil dieses Blogs bin, möchte ich heute zu Ihnen sprechen.

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass meine Mama ganz schön dran zu knabbern hat und die nächsten Tage weder einen neuen Beitrag verfassen kann noch auf Kommentare antwortet. Sie wird dies aber nachholen.



wirklich lang kannten wir uns nicht

Ich war 12 Jahre alt als wir uns kennen lernten. Aus reiner Neugier ist sie damals ins Tierheim gegangen. Die dort vorherrschenden Geräusche haben sie sehr mitgenommen, so dass sie es nur ins erste Haus geschafft hat und sich völlig verwirrt in den Warte- und Besprechungsraum gesetzt hat.

In diesem ersten Gebäude - das "Hunde-Haus" - hatte man mich neben die Heizung gelegt. Denn zumindest damals galt, dass Tiere, die länger als ein Jahr im Tierheim sind, eingeschläfert werden. Dieser Zeitpunkt war eigentlich gekommen, weswegen ich aus dem Zwinger in das Haus gelangte.

Wissen Sie, es ist schwer, eine neue Familie zu finden, wenn man so alt ist. Ich bin zwar kein gezüchteter, aber ein reinrassiger Chihuahua (Das bedeutet, ich bin schon grösser als meine Artgenossen!). Im Durchschnitt werden wir nur 12 Jahre, und dieses Alter hatte ich schon erreicht. Später nannte man mich auch "Methusalix" - aber ich möchte meiner Geschichte nicht vorgreifen.

Neben der Problematik mit dem Alter hatte ich auch noch ein paar andere "Eigenschaften", die die Menschen schwer überzeugen konnten:
Ich bin völlig taub.
Das eine Auge war ganz blind und auf dem anderen habe ich zumindest damals noch etwas gesehen.
Ohne Zuwendung war es auch schwierig, dass ich Fell hatte. Ich war ziemlich kahl und abgemagert.
Und ohne es schön zu reden: Ich war inkontinent. Egal, wo ich lief, habe ich Wasser gelassen. Meine Blase war wirklich riesig. Mama hat in den Jahren endlos Haushaltstücher verbraucht.
Ich hab zwar nie darüber geredet, weil man mich ausgesetzt hatte, und ich so ins Tierheim gekommen bin, aber ich hatte auch nur noch 3 Zähne. Die anderen wurden mir ausgeschlagen. Meine Rippen hatte man mir auch gebrochen; diese sind schief zusammengewachsen - irgendjemand muss mich wohl getreten haben. Man musste mich vorsichtig hochheben.
Wie sich Jahre später rausstellen sollte, hatte ich auch einige Bandscheibenvorfälle. Vermeintlich der Grund, weswegen ich inkontinent war. Eine Begleiterscheinung der Tritte...


Doch Mama hat mich einfach mitgenommen.

Ich kam aber damals bei Mamis Mann jedoch nicht so gut an. Ich bin halt so klein, dass ich ein wirklicher Schosshund bin. Und der Idiot wollte eben immer die erste Geigen spielen - aber das war nun plötzlich mein Instrument.

Wie viele kleine Hunde, habe ich einen wirklichen Charakter. Durch die lange Zeit im Tierheim mochte ich auch keine anderen Hunde. Stattdessen sammelte ich gerne alle getragenen Klamotten von Mutti ein und legte mich zum Schlafen darauf. Diese gab ich nie her, was manchmal zu Diskussionen führte, da ich auch Handtaschen und Schuhe mitnahm.

Wie gesagt, mochte der Hausherr mich nicht sehr. Meine Mama hat dann auch ein Jahr später den Mann gewechselt. Doch vorher hatte ich noch ein einschneidendes Erlebnis.

Man wird ja in so einer Trennung dann simpel zum Spielball. Der Ex-Typ hat mich einfach komplett rausgeworfen; direkt auf die Strasse: Mich - blind, taub, bekannterweise eigenwillig und sehr neugierig...

Einige Strassenzüge weiter hat mich Gottseidank die Feuerwehr gefunden. Ich hatte mich unter einen Müllwagen versteckt. Mama hat ganz schön geheult, als sie mich abholte und den Jungs danach einen Kasten Bier geschenkt hat. Naja, ich hatte auch zugebissen als der Feuerwehrmann mich gerettet hat.
Ich lass mich doch nicht von Fremden anfassen...

Jedenfalls hat Mama dann den Typen abserviert. Und ich hatte nun endgültig Hoheit über das freie Kopfkissen.
Und dann kam der Andere. Naja, eigentlich stimmt das nicht ganz. Wir waren erst alleine. Ich habe sehr lange mein Kopfkissen verteidigt. Aber der neue Typ war schon OK - er hat Mami oft geholfen, meine in der Wohnung fein verteilte Urinspur überall wegzuwischen.



klein aber fein

So weit ich mit meiner Kleinheit konnte, habe ich meine Mama beschützt und sogar zweimal wirklich verteidigt:

Ich bin einem Mann, der - sogar tagsüber - meine Mama im Wald beim Gassigehen mit übelsten Hintergedanken belästigt hat, in die Eier gesprungen: Das war zwar hoch, aber ich weiss, wohin man springen muss. Dies hat sie so wachgerüttelt, dass sie den "Rest" dann auch alleine bewerkstelligt hat. Und auch wenn ich nur auf meine Nase vertrauen kann, hab ich die Gefahr doch gleich richtig eingeschätzt.

Ein anderes Mal hat jemand versucht in die Wohnung, einzubrechen und das auch noch werktags, nachts um 2 Uhr.
Ich höre ja nichts, aber ein fremder Geruch - so lange in meiner Nase - hat mich wachgerüttelt. Da mein Schlafplatz neben Mamas Bett war, konnte ich sie durch Bellen aus ihrem Schlaf reissen. Wir beide haben dann mit Lautstärke und Licht den Einbrecher verjagt.
Es war schon richtig - obwohl das Papa ganz schön genervt hat -, dass ich Nachts immer meine Runden gedreht habe - zumindest so lange, wie ich laufen konnte (Jetzt greif ich der Geschichte schon wieder vor... Moment, Sie finden gleich den Anschluss).



wir hatten viel Spass

Selbst wenn Mama im Urlaub über den grossen Teich geflogen ist, hatte ich immer eine Vertrauensperson bei mir.

Bei Reisen innerhalb von Europa war ich immer dabei. Zumindest damals galt, dass Tiere unter 6kg im Flugzeug an Bord dürfen: Ich habe viele Suiten vollgepisst - selbst die, wo keine Tiere erlaubt sind. Aber Mama ist immer mit Reinigunsmittel und aufsaugenden Decken verreist. Ich war ja so klein, dass man mich überall reinschmuggeln konnte.
Und auch wenn ich lebhaft war, wusste ich doch, wann es galt, ganz still und ruhig zu sein.










Wir beide haben auch viele Restaurants - beispielsweise sind in Italien Hunde nicht so gern gesehen - überzeugt.
Es hatte schon einen Vorteil, dass ich so klein und kuschelig (Langhaar eben) war. Ausnahmen bestätigen eben die Regel. Bei Frauen kam ich immer sehr gut an. Die wollten mich immer streicheln.



mit zwei statt vier Beinen

Ende November 2006 war Mama ein oft gesehener Gast in der Tierklinik: Laut Röntgenbild hatte ich mindestens den fünften Bandscheibenvorfall. Der Arzt meinte, dass diese sehr alt sind. Meine Hinterbeine waren nun leider gelähmt. Dies hat aber nicht meinen Gemütszustand verändert.

Mutti hat noch viele, viele Decken gekauft und die Zimmer damit ausgelegt, damit mein Po nicht wund wird. Denn ich konnte mich alleine mit den Vorderbeinen trotzdem sehr schnell bewegen.

Nun durfte ich auch noch öfters auf Mamas Schoss sitzen. Im Tagesdurchschnitt habe ich es auf zwei Decken, drei Pullis und auch noch zwei triefende Jeans geschafft: Es ist schon blöd, wenn man inkontinent ist.



warum ich so alt geworden bin

Wissen Sie, dass kann ich Ihnen auch nicht sagen. Meine Mama hat immer davon gesprochen, dass der liebe Gott mich so lange am Leben lässt, bis sich Gutes und Böses ausgeglichen hat.

Vielleicht hat sie ja Recht ?!...



wir hatten viel Spass und wussten es beide

Meine Mama hat mich nie wirklich alleine gelassen. Und sie hatte Verständnis für all meine Eigenschaften - egal welche -, selbst wenn diese sie genervt haben und sie mal geschimpft hat. Naja, ich bin ja taub - das ging daher rein wie raus.

Mami und ich wussten, dass ich jetzt nicht mehr kann. Am 18. März 2008 um 16.17 Uhr bin ich ohne Schmerzen oder Leiden in ihren Armen eingeschlafen.
Laut Tierheim bin ich am 10. Januar 1990 geboren.


Warum ich Ihnen das alles erzähle?

Ich möchte, dass Sie nachvollziehen können, weswegen Mama sich kurz zurückzieht. Ihr fehlt ein Teil ihres Lebens. Ich war ihr Sonnenschein, habe ihr Herz höherspringen lassen. Sie wird auch ohne mich für Sie da sein - so wie all die Jahre für mich.

Aber bitte seien Sie so freundlich und geben ihr etwas Zeit.



abschliessende Bemerkung

Wenn Sie meine Lebensgeschichte bis hierher gelesen haben, möchte ich Ihnen auch noch mitteilen, dass Mama sich über jede Anteilnahme freut.

Ich bin sehr klein und unbedeutend, aber Mama hat mich immer bestärkt, so zu sein, wie ich bin / war.
Mit einem Kommentar von Ihnen - egal wie vermeintlich unpersönlich - lebe ich weiter - auch wenn Mami dadurch weint. Ich bin eben eben ein Teil dieses Blogs...

Bis hierher gibt es keinen Beitrag oder Kommentar bei dem ich nicht auf Ihrem Schoss gesessen habe.
Momentan bin ich auch noch bei ihr. Mit Abschluss dieser Zeilen werde ich ins Krematorium zum Einäschern gebracht.